Jimmys Verhalten wird immer rätselhafter, Kim verliert die Nerven und Gus‘ groß angelegter Rachefeldzug bezieht nun auch Nacho mit ein – in „Breathe“ war wirklich einiges los. Dabei schafft es die Folge meiner Meinung nach bisher mit am besten, die Balance zwischen den einzelnen Charakteren und ihren Geschichten aufrechtzuerhalten und dazu gleichzeitig kleinere Figuren in nur wenigen Minuten hinzuzufügen ohne sie wie reine Statisten wirken zu lassen.

Es war nicht zu erwarten, dass das Autorenteam – und erst recht nicht der für „Breathe“ verantwortliche Tom Schnauz, der Breaking-Bad-Episoden wie „One Minute“, „Abiquiu“ und „Say My Name“ geschrieben hat – noch detaillierter als im Staffelauftakt weiter auf die Reaktionen von Jimmy, Kim und Howard auf Chucks Tod eingeht. Jeder dieser Charaktere handelt in den ersten beiden Folgen auf eine Weise, wie man es vielleicht nicht auf den ersten Blick erwartet hätte. Es lohnt sich also genauer hinzuschauen, genauer aufzuschlüsseln, warum sie sich so verhalten könnten, denn genau das ist es doch, was die Show mittlerweile zum Teil auch ausmacht: Es gibt nur sehr wenige Serien, bei denen man so tief eintauchen kann in die Psyche von beinahe jedem Charakter, einfach weil wir schon so viel über sie wissen. Behutsames Erzählen zahlt sich halt einfach aus.

In Jimmys Fall haben wir mehrere Anhaltspunkte zu spekulieren, warum er sich seinen Terminkalender so kurz nach dem Tod seines Bruder so zukleistert mit Bewerbungsgesprächen, um dann wieder einen Rückzieher zu machen, nachdem er sich in einem Kopiererfachgeschäft vorstellt. Warum tut er sich das überhaupt an? Ein zusätzliches Einkommen wäre aufgrund von Kims Verletzung wohl schon nicht die schlechteste Idee, die beiden scheinen finanziell jetzt aber noch nicht am Hungertuch zu nagen. Nein, da muss etwas anderes sein, was Jimmy nicht einfach mal ruhen lässt. Zum einen denke ich, dass ihn Chucks Tod und vor allem das Gespräch mit Howard im Nachhinein doch mehr getroffen haben, als er das nach außen hin zeigt. Es ist ja gewissermaßen auch ein Charakterzug von Saul, sich in Zeiten des größten Tumults, den ihm Walter White einbrocken wird, immer wieder in Sprüche und Anekdoten zu flüchten anstatt seine wahren Gefühle zu zeigen. Das war meiner Meinung nach zu einem guten Teil auch der Grund, warum er eben nicht eine Woche auf die Antwort der beiden Verkäufer warten wollte – weil er sich in der Zwischenzeit seinen Gefühlen hätte stellen müssen. Ein weiterer Grund, nochmal in das Geschäft umzukehren und den Job letztendlich abzulehnen, könnte Jimmys dauerndes Verlangen zu sein, Menschen zu überzeugen, sie umzustimmen und so auf eine Weise auch zu manipulieren. Man könnte fast sagen, Jimmy testet in dieser Szene seine Superkraft. Ich glaube, er vermisst das Anwaltsein wirklich sehr – und ich könnte mir keinen besseren Schauspieler als Bob Odenkirk vorstellen, der dieses spezielle Bedürfnis so eindrucksvoll offensichtlich machen kann. Und dann ist da natürlich noch die Hummel-Figur, auf die Jimmy – bei einem Wert von etwa 8000 Dollar warum auch immer – extrem scharf zu sein scheint. Je näher wir dem Heisenberg-Universum kommen, desto mehr zeigt sich Jimmys kriminelle Energie, so gering die mögliche Beute auch ausfallen könnte. Eine letzte Überlegung, die man sich zu Jimmys Verhalten im Kopiererladen machen kann: Möglicherweise erinnern ihn die beiden Verkäufer an seinen (zu) gutherzigen Vater, von dem wir wissen, dass er gegenüber den Kunden in seinem Geschäft immer wieder Zugeständnisse gemacht hat und daran letztendlich zugrunde ging.

Meine Lieblingsszene, die in dieser Folge allerdings so hart umkämpft wie selten war, gehört aber Kim und Howard. Es wäre falsch zu behaupten, dass es nur die exzellenten schauspielerischen Leistungen von Rhea Seehorn und Patrick Fabian waren, die mich in der Szene beeindruckt haben – nach 32 Episoden sind es natürlich auch die Charaktere, die einem immer mehr am Herzen liegen. Und das ist nicht nur Kim, die nach all den physischen und psychischen Strapazen der letzten Wochen immer noch treu an Jimmys Seite steht und vor Howard wortwörtlich für ihren Freund kämpft. Nein, es ist auch Howard, bei dem ich wirklich davon fasziniert bin, was für eine komplexe Figur da geschaffen wurde. Er war nie wirklich der Böse, zu dem Jimmy und der späte Chuck ihn gerne gemacht haben. Und auch jetzt, wo Jimmy und Kim ihn dafür verantwortlich machen, offen über Chucks Tod und seinen Anteil daran zu sprechen, glaube ich ihm, dass er nicht die Absicht hat, den beiden einen letzten Tritt zu verpassen. In Howards Satz „What can I do to make it better“ steckt so viel aufrichtige Verzweiflung, dass ich wirklich hoffe, dass er sich jetzt nicht langsam aus dem Plot verabschiedet, weil ich da noch eine Menge Potential sehe.

Der Brief, den Chuck seinem Bruder hinterlassen hat und den Kim fürs Erste vor Jimmy aus verständlichen Motiven geheimhält, wird mit Sicherheit noch ein Faktor werden. Viele spekulieren, dass der Brief ein Punkt sein könnte, wegen dem Kim und Jimmy letztlich auseinandergehen, aber daran glaube ich nicht. Auch, dass der Brief ein letztes „Fuck You“ von Chuck an Jimmy enthält, macht für mich aus Story-Sicht keinen Sinn. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Jimmy sich dazu entschließt, ihn entweder gar nicht zu öffnen, oder er ihn öffnet und der Brief endlich Chucks wahre Meinung über ihn enthält, die er sich Zeit seines Lebens womöglich nie getraut hatte zu äußern.

Wohingegen wir in Better Call Saul bisher vor allem mit dem freundlichen „Los-Pollos-Hermanos“-Manager Gustavo Fring zu tun hatten, werden wir in „Breathe“ wieder daran erinnert, dass er auch damals schon ein Drogenboss war, der vor Mord, Erpressung und Rache wohl noch nie zurückgeschreckt hat. Besonders cool illustriert wird die buchstäblich dunkle Seite von Gus in dieser Folge von Star-Regisseurin Michelle MacLaren, die ihn ganz bewusst oft in den Schatten stellt und ihn in Nahaufnahme Pläne an seinem Schreibtisch schmieden lässt. Nachdem er mit einer unglaublichen Anstrengung weiter daran arbeitet, Hector am Leben zu halten („I decide what he deserves“), sieht er dank der Erkenntnis, dass Nacho für Hectors Schlaganfall verantwortlich war, die Möglichkeit, innerhalb des Cartel-Territoriums noch mehr Macht zu gewinnen. Sein Plan deshalb: Arturo umbringen und dadurch den im Moment einzigen Konkurrenten von Nacho um den vakanten Posten, den Don Hector hinterlassen hat, zu beseitigen und Nacho als Marionette zu installieren. Das Ganze geht er auf eine ähnliche Weise an, wie er es ein paar Jahre später auch bei Walt und Jesse tun wird: Statt gewaltsam sein Gebiet zu vergrößern und die Aufmerksamkeit von Don Eladio und Juan Bolsa sowie der DEA auf ihn zu lenken, soll in diesem Fall Nacho seinen Kopf hinhalten, weil Gus seinen Verlust verkraften könnte. Arturo mit einfachen Haushaltsutensilien und den Worten „From now on. You. Are. Mine“ grausam vor den Augen von Nacho ersticken zu lassen, dürfte bei dem auch wenige Fragen offen lassen. Er sitzt in der Scheiße und seinen Plan, aus dem Geschäft komplett auszusteigen, kann er erstmal vergessen.

Sollte Nacho an seinem Plan festhalten und sich auch gegen Gus wenden, so kann ich mir vorstellen, dass seine Storyline eng mit der Charakterentwicklung von Mike in dieser Staffel zusammenhängen könnte. Der ist zu diesem Zeitpunkt nämlich noch nicht der kaltblütige Killer aus Breaking Bad, sonder weiterhin ein doch recht gewissenhafter Ex-Cop, der Mord nur im absoluten Notfall in Betracht zieht. Ich denke, dass sich das im Laufe der Staffel ändern könnte und stelle einfach mal die Theorie auf, dass Nacho der erste „wirkliche“ Mord sein wird, den Mike als rechte Hand von Gus Fring begeht. Angesichts der Tatsache, dass Mike Nacho ähnlich wie Jesse oder seinen Sohn Matty für sein intaktes Gewissen meiner Meinung nach schätzt und ich Michael Mando in der Rolle mit jeder Folge besser finde, wäre das schon ein ziemlich tragischer – aber nicht unspannender – Handlungsverlauf.

Ein paar kleinere Beobachtungen:

  • In Mikes Gespräch mit Lydia erfahren wir, was Mike letzte Woche auf dem Madrigal-Firmengelände vorhatte. Während Lydia das nicht so ganz nachvollziehen kann, scheint Gus Mikes Einfallsreichtum immer mehr zu gefallen. Ich zweifle zwar daran, dass Mike die Tour in die anderen Madrigal-Stützpunkte wirklich macht, aber womöglich baut er sich auf diese Weise über die Jahre seine Gruppe an Helfern auf, die in Staffel 5.1 von Breaking Bad zu Walts Problem werden.
  • Mich hat die Geldübergabe-Szene mit Nacho, Arturo, Victor und Tyrus sehr an den Test erinnert, mit dem Gus via Mike in Breaking Bad die Loyalität von Jesse testen wollte, als Mike scheinbar angegriffen wurde und Jesse ihm zur Hilfe kam. Nacho muss in seiner Rolle als Maulwurf überzeugend wirken und dass er Victor und Tyrus mit der Waffe bedroht hat, könnte Gus zeigen, dass er der Richtige dafür ist.
  • Irgendwie hat mich die Beziehung zwischen Gus und seinem Vertrauensarzt schon immer interessiert. In Breaking Bad umarmen sie sich nach dem Giftanschlag auf das Cartel auch sehr innig. Ich bezweifle, dass wir je einen Hintergrund dazu bekommen, aber ich freue mich immer, wenn man ihn sieht.
  • In dieser Folge sind wir bei einem der seltenen Momente dabei, wo Jimmy und Kim mal körperlich werden. Hier bröckelt die Fassade von Jimmy auch etwas und es wird mal wieder klar, wie gut dieses Paar zusammen funktioniert und wie sehr sie sich brauchen.
  • Ohne in jede Kleinigkeit etwas hineininterpretieren zu wollen: Jimmys Fische waren in „Breathe“ wirklich auffällig oft zu sehen. Wenn wir uns zurück erinnern, hat Jimmy die ja damals nur gekauft, um Dr. Caldera, dem Tierarzt mit Kontakten in die kriminelle Unterwelt, unauffällig einen Besuch abzustatten. Solange die Fische da sind, ist da also auch immer eine gewisse Verbindung zu Jimmys krimineller Seite.
  • Die Hummel-Figur des bayerischen Wanderers im Schrank des Kopierershops kennen wir bereits aus der fünften Folge der ersten Staffel „Alpine Shepard Boy“. Ich könnte mich nicht mehr darauf freuen, dass wir dank der Figur in der nächsten Folge wohl wieder eine Jimmy/Mike-Szene bekommen.
  • Mit Michelle MacLaren und Tom Schnauz war dasselbe Team hinter der Kamera wie in der Breaking-Bad-Folge „One Minute“, in der die Salamanca-Cousins ihr großes Stand-Off mit Hank haben. Irgendwie cool, dass sie deshalb auch in „Breathe“ dabei waren. Wie lustig war bitte die Szene in Hectors Krankenhauszimmer? „You look good.“ Ich werde Arturo vermissen.
  • Falls ihr euch so richtig auf nächste Woche freuen wollt: „Something Beautiful“ ist geschrieben von Gordon Smith und inszeniert von Daniel Sackheim, auch bekannt als das Team, das mit „Chicanery“ für einen Emmy nominiert wurde.

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