Wenige Tage nach Chuck McGills Tod wird immer klarer, dass das zentrale Mysterium dieser Staffel der Gemütszustand seines Bruders zu sein scheint. Erst weist Jimmy Howard zurück, dann stürzt er sich in Vorstellungsgespräche, ohne überhaupt einen Job annehmen zu wollen. In „Something Beautiful“ erreicht sein Verhalten dann seine Höhepunkte – oder vielleicht eher seine Tiefpunkte, wenn man ehrlich ist. Er belügt Kim, verheimlicht ihr Dinge, begibt sich und andere in unnötige Gefahr. Viel schlimmer bekommt seiner Partnerin aber die Kälte, die ihn seit ein paar Tagen umgibt. Währenddessen versuchen Gus und seine Männer weiterhin, das Cartel zu manipulieren, wo es nur geht, und wir besuchen einen alten Bekannten bei der Arbeit.

Von seinem Plan, den netten aber viel zu gutgläubigen Herren aus dem Kopiererfachgeschäft ihre wertvolle Hummel-Figur zu stehlen, ist Jimmy weiterhin nicht abzubringen. Auf jeden Fall mal nicht von Mike. Der braucht zum einen gerade nämlich wirklich nicht die Peanuts, die bei einem Geschäft mit Jimmy herausspringen würden. Zum anderen denke ich auch, dass Mike spürt, dass Jimmy alles andere als in Ordnung ist. Ein vorsichtiger Ex-Cop wie er versucht stets das Risiko aufzufliegen möglichst klein zu halten. Und dann ist da auch noch sein Code: Menschen, die „not in the game“ sind, werden nicht hineingezogen in etwas, wo sie so schnell nicht mehr herauskommen. Auch nicht für Geld.

In einer sehr witzigen Sequenz mit dem Breaking-Bad-Rückkehrer und mehr oder weniger talentierten Dieb Ira gelingt es Jimmy mit seiner tatkräftigen Unterstützung tatsächlich, die Figur zu klauen und durch eine nahezu identische zu ersetzen. In dieser Stimmung und mit imaginären 4.000 Dollar mehr in der Tasche kann Jimmy nichts mehr die Laune vermiesen, nicht einmal die Nachrichten von Chucks Nachlass. In der letzten Folge hatte Kim noch damit gehadert, ihn so früh nach dem Tod seines Bruders mit dem Brief zu konfrontieren, um ihn nicht unnötigerweise weiter zu belasten – sie hätte nicht falscher bzw. richtiger liegen können. Bob Odenkirk und Rhea Seehorn treffen hier mal wieder jeden Ton: Während Jimmy die freundlichen, für Chucks Verhältnisse fast schon liebevollen Worte seines Bruders mit einem Schmunzeln vorliest, als stünden sie auf der Rückseite einer Kelloggs-Packung, füllen sich Kims Augen mit Tränen.

Kim weiß, wie lange Jimmy genau auf diese Worte seines Bruders gewartet hat, wie gerne er sie auch nur einmal aus seinem Mund gehört hätte. Jimmys Reaktion im Zusammenhang mit seinem Verhalten gegenüber Howard macht für sie deshalb einfach keinen Sinn. Warum fühlt sie die Emotionen, die eigentlich ihr Freund, der Bruder des Verstobenen, fühlen sollte? Sie war es, die in Howards Büro gestürmt ist und ihn zur Rede gestellt hat. Und jetzt ist es wieder sie, der der Brief nahe geht. Es könnte auf sie fast so wirken, als würde Jimmy bereitwillig seinen Schmerz auf sie übertragen, was nicht nur zu Verzweiflung über die Situation, sondern ziemlich schnell auch zu Wut auf ihn werden könnte. Wir dürfen nicht vergessen, in was für einer Ausnahmesituation sie selbst sich gerade befindet.

Ihr immer noch verbundener Arm ist nämlich das geringste ihrer Probleme. In einem Treffen mit Kims Klienten von Mesa Verde stellt ihr Firmenboss Kevin die Expansionsstrategie der Bank anhand von lächerlich konstruierten Häusermodellen vor. Als er die Städte aufzählt, in denen Mesa Verde in den nächsten Jahren Infrastruktur aufbauen möchte, wird ihr ganz mulmig. Obwohl nicht ganz klar ist, warum das so ist, lohnt es sich ein bisschen zu spekulieren. Ich denke, dass ihr in diesem Moment klar wird, dass sie sich noch jahrelang für die Firma arbeiten wird, die aus ihren Augen mitverantwortlich für ihren Unfall war. Egal wieviele Helfer sie noch einstellt, immer wäre da diese Verbindung – und vor allem die Gefahr, dasselbe nochmal zu durchleben. Aber nicht nur das. Erinnern wir uns zurück daran, wie Kim überhaupt an den Job gekommen war: Nur durch Jimmys Dazutun konnte sie den Fall von HHM übernehmen, was im Endeffekt der Ausgangspunkt für Chucks Zusammenbruch vor Gericht war. Neben den scherzhaften Erinnerungen an ihren Autounfall spielen aus meiner Sicht also definitiv auch Schuldgefühle eine große Rolle, warum Kim plötzlich Abstand vom Mesa-Verde-Fall gewinnen möchte.

Nachdem Kim mit ihrer neuen Partnerin Viola das Treffen mit Kevin verlässt, fragt sie diese, ob sie sie beim Gericht absetzen kann, was mich zu meiner kleinen Theorie bringt: Ich glaube, dass Kim Mesa Verde loswerden will, und ich denke auch, dass sie den Fall zurück an HHM übergeben wird. Wenn sie den Fall an Howard abgeben würde, hätte sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, die sie beide quälen. Sie würde die Zeit gewissermaßen auf vor der Katastrophe zurückdrehen und sich gleichzeitig auf diese Weise persönlich bei Howard entschuldigen, den sich in der letzten Folge im Rückblick vielleicht etwas zu unrecht so attackiert hat. Ob ihr das am Ende wirklich helfen wird und ob für ihre Stimmung nicht viel eher die Situation mit Jimmy verantwortlich ist – wir werden es sehen.

Was die Cartel-Hälfte der Serie angeht, so hat mich die Folge ein kleines bisschen skeptisch gemacht. Das Problem an allen Szenen mit Gus ist, dass wir wissen, wie sie für ihn ausgehen. Wir wissen, dass er in Breaking Bad weiterhin um das Territorium mit anderen Clans – vor allem mit den Salamancas – kämpft. Wir wissen, dass er dabei nie ernster verletzt wird oder stirbt. Seine Storyline deshalb mit Nacho, einem Charakter, von dem wir noch kein endgültiges Ablaufdatum kennen, frisch zu halten, ist eine gute Idee. Dazu bahnt sich natürlich immer noch die baldige Ankunft von Lalo an. Dennoch fielen mir ein paar Verbesserungsvorschläge ein, die ich mir in Gus‘ Welt noch wünschen würde: Wenn wir schon so viel Zeit mit Charakteren wie Viktor, Tyrus oder den Cousins verbringen, gebt ihnen bitte etwas Hintergrund. Diese Charaktere waren immer ein Punkt, den ich an Breaking Bad kritisiert habe – jetzt hätte man die Zeit und die Gelegenheit das nachzuholen. Außerdem hat es mir nicht besonders gefallen, dass die Cousins Nacho ebenfalls bei Tierarzt Caldera behandeln lassen. Womöglich hat Nacho selbst nach ihm verlangt, weil er ja über Pryce schon Kontakt mit Caldera hatte, dennoch hätte ich die Ärztin, die Hector im Krankenhaus behandelt hat, einen Tick realistischer gefunden.

Fürs erste scheint Gus‘ Plan aber aufzugehen. Ich bin gespannt, auf wen das Cartel jetzt Jagd macht nach Nachos erfundener Beschreibung des Autos. Alles, was die Salamancas in noch tieferes Chaos stößt, ist gut für Gus, weil es so wahrscheinlicher wird, dass künftig der gesamte Handel über ihn läuft. Dass er hinter den Kulissen aber schon an weitaus größerem bastelt, beweist einer der bisher größten Momente des Breaking-Bad-Klassentreffens, als wir niemand geringeren als Gale Boetticher in seinem Labor besuchen. Interessant finde ich hier vor allem den Kontrast von Gus, dem interessierten Förderer von Gale und seinen Studien, zu Gus, dem eiskalten Mörder, der Arturo in der letzten Folge hat ersticken lassen. Sollte Gale nun häufiger zu sehen sein und wir mit ihm den Umschwung ins Meth-Geschäft und den Bau des Superlabors in der Wäscherei erleben, so fand ich seine Einführung als Charakter sehr sinnvoll und organisch.

Ein paar Kleinigkeiten:

  • Ich habe eine Theorie jetzt schon mehrfach gelesen, ich schätze ihre Wahrscheinlichkeit aber eher niedrig ein: Kim könnte Chucks Brief ja durch einen eigenen ersetzt haben, von dem sie sich sicher ist, dass er Jimmy nicht verletzen wird. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass das überhaupt nicht ihrem Charakter entspricht, gibt es auch sonst keine Anzeichen dafür. Das ist normalerweise nicht die Art und Weise, wie Vince Gilligan und Peter Gould Geschichten erzählen.
  • Breaking-Bad-Fans könnten auch Ira wiedererkannt haben. Dort leitet er nämlich Vamanos Pest, die Walt und Jesse am Anfang der fünften Staffel das Kochen ermöglicht haben. Über ihn sagt Saul zu diesem Zeitpunkt nämlich „I’ve been pulling their chestnuts out of the fire, legally speaking, for five years“. Seine Rückkehr macht also auf jeden Fall Sinn und es spricht auch vieles dafür, dass wir ihn nochmal sehen werden.
  • Als wäre Neffs Gespräch mit seiner Frau am Telefon, während Ira sich versteckt, nicht eh schon großartig genug, er bestellt daraufhin folgendes beim Pizzaservice: „Yes… sliced, please. Could you also throw in some dipping sticks?“ Ihr erinnert euch sicher an die Pizza, die Walt aus Wut aufs Dach geworfen hat? Die war nicht geschnitten. Und dipping sticks hatte er auch dabei. Es ist also nicht völlig unwahrscheinlich, dass es sich um dieselbe Pizzeria handelt. Wow, oder?
  • Ich fand es cool, dass Mike im Gespräch mit Jimmy zumindest ein klein wenig auf Chucks Tod eingegangen ist. „I’m sorry about your brother“ und „You take it easy“ waren für Mikes Verhältnisse echte Gefühlsausbrüche.
  • Dan Sackheim, der Regisseur der Folge, wird auch die dritte Staffel von True Detective arrangieren. Außerdem cool: In dieser Staffel wird zum ersten Mal auch Andrew Stanton als Regisseur dabei sein, der unter anderem schon Findet Nemo und WALL-E gemacht hat.

 

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