Better Call Saul erzählt die Geschichte von Jimmy McGill, einem gutherzigen Anwalt mit Ausreißern ins moralische Grau, der sich zu einem kriminellen, geldgierigen Phrasendrescher entwickelt. Dass dieser Wandel bedeutet, dass wir uns also wohl oder übel früher oder später von Jimmy verabschieden müssen, scheint Staffel 4 in ihrer ersten Episode ergründen zu wollen. Erste Spuren davon bekommen in „Smoke“ nicht irgendwelche Flugzeugkapitäne oder Rentnerinnen zu spüren, sondern Howard Hamlin und seine eigene Lebensgefährtin. Es wird immer klarer, dass Chuck, dessen noch lodernde Funken sich über die komplette Folge – und wahrscheinlich auch die gesamte Staffel hinweg – ausbreiten, hatte beinahe sein ganzes Leben genau davor gewarnt.

Bevor Better Call Saul so richtig in seine vierte Staffel startet, verbringen wir als Zuschauer noch einmal lange drei Minuten alleine mit Jimmy und Kim, die beide friedlich – so friedlich es die Umstände Jimmys Arbeitslosigkeit und Kims Verletzungen erlauben – aufwachen. Die vielleicht letzte Szene, in der wir die Beziehung der beiden als die sehen, wie sie niemals mehr sein wird; in der wir James M. McGill als den sehen, den der Verlust seines Bruders für immer verändert.

Die Ruhe, die völlige Abwesenheit, nicht unbedingt die Traurigkeit, die Bob Odenkirk seinem Charakter in der Folge verleiht, ist interessant. Angesichts unseres Wissens über das letzte Aufeinandertreffen der McGill-Brüder und Chucks Aussage – so ernst man sie zu diesem Zeitpunkt auch nehmen konnte –, dass ihm Jimmy nie so wirklich viel bedeutet habe, wäre ein Tränenausbruch wohl auch schwer zu begreifen gewesen. Mein Eindruck ist, dass sich Jimmys Erinnerung an den Grund des Konflikt mit seinem Bruder noch einmal verstärkt, als Howard ihm am Telefon Chucks gesamtes Lebenswerk vorliest, in dem er selbst, der ihm tagtäglich durch seine Krankheit geholfen hat, aber nur in einem Nebensatz vorkommt. Es ist außerdem genau das, was er von Chuck so oft zu hören bekam: Ich habe dem Gesetz mein gesamtes Leben gewidmet, während du mit mit deinem Abschluss an der University of American Samoa und ein paar Taschenspielertricks nie das Wasser reichen wirst.

Diese Verbitterung war es, die Jimmy nicht nur dazu motiviert hat, seinen Bruder vor der New Mexico Bar Association zu blamieren. Vor allem Jimmys tränenreicher Auftritt vor der Angestellten, die Chucks Anwaltsversicherung vertritt, sollte besonders große Wirkung zeigen. Es war der Auslöser für Howards Entscheidung, Chuck aus der Firma ausscheiden zu lassen, was wiederum – wie es Patrick Fabians Charakter in einem grandios gespielten Dialog selbst vermutet – Chucks Selbstmord verursacht haben könnte. Als Jimmy diesen Satz jedoch vom sichtlich von Selbstzweifeln geplagten Howard und vor der ihm wie immer treu zur Seite stehenden Kim hört, ändert sich Jimmys Laune schlagartig.

„Well, Howard, I guess that’s your cross to bear“, sagt er, macht sich Kaffee und füttert seine Fische. Es gibt meiner Meinung nach zwei Interpretationsvarianten:
1) Jimmy ist froh darüber, dass sein Plan mit der Versicherung aufgegangen ist. Chuck so zu provozieren, dass dieser einen Selbstmord erwägen könnte, war ein willkommenes Risiko. 2) Es sind tatsächlich Howards Schuldgefühle, die Jimmy aufatmen lassen. Denn wenn sich schon ein anderer bereiterklärt, sich für den Tod eines Mannes, der für ihn selbst ohnehin wenig übrig hat, verantwortlich zu fühlen, warum dann noch Gedanken machen? Ich tendiere stark zu Variante 2, weil es nunmal die Art und Weise ist, wie Jimmy McGill nun denkt, wie Saul Goodman immer denken würde.

In die Welt nach Saul Goodman tauchen wir abermals ein, als wir Cinnabon-Manager Gene dabei nach seinem Zusammenbruch im vergangenen Jahr dabei begleiten, auf optisch ähnliche Art und Weise wie einst Chuck ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Wohingegen sich sein Kollaps als nichts Ernster herausstellt, spitzt sich Genes Paranoia immer mehr. Obwohl es nicht unmöglich ist, dass Jimmys Deckung auffliegt, starrt ihn ein Taxifahrer, in dem einige im Internet schon wahlweise Howard, Nacho oder gar Jesse erkannt haben wollen, auffällig lange an. Für mich liegt das  einfach nur daran, dass Gene in seiner Aufregung den Namen einer Mall in Albuquerque sagt, was den Mann mit Wunderbaum der Albuquerque Isotopes eventuell verwundert haben könnte. Die Autoren betonen immer wieder, wie gerne sie diese Szenen schreiben, ich würde es also nicht ausschließen, dass wir in dieser Staffel bereits das Letzte von Gene gesehen haben.

Was Mike und die Cartel-Storyline um Gus und Nacho angeht, so tun sich auch ein paar mögliche Handlungsverläufe auf. Mike scheint nicht gewillt zu sein, zuhause zu sitzen und auf seinen monatlichen Check von fast 10.000 Dollar zu warten. Viel lieber deckt er als Sicherheitsbeauftragter von Madrigal sämtliche Systemlücken, unterschreibt auf fremden Geburtstagskarten und erklärt seinen Kollegen, ob Ali oder Bruce Lee die Nase vorn hat. Mal schauen, wo uns das ganze hinführt, ich habe diese Szenen ziemlich genossen und bin eigentlich überzeugt davon, dass Mike mehr vorhat und als nächstes gerne noch einmal persönlich mit Lydia sprechen würde.

Bezüglich Nacho bin ich leider immer mehr davon überzeugt, dass es ganz eng für ihn werden könnte, lebend aus dieser Staffel herauszukommen. Im Prinzip gibt es gleich mehrere Parteien, die ihn lieber heute als morgen in der Wüste begraben würden: Das Cartel, wenn es herausfindet, dass Nacho indirekt hinter Hectors Herzattacke steckt; Gus, der so wenig Aufmerksamkeit der DEA wie möglich auf sich und das Cartel lenken möchte und zudem das oberste Ziel hat, seinen Erzfeind Hector selbst umzubringen. Und dann ist da noch Lalo, den bis dahin noch großen Unbekannten, den wir in dieser Staffel endlich kennenlernen sollen.

Ein paar Kleinigkeiten zum Abschluss:

  • Der Song aus der Gene-Sequenz passt mal wieder wie die Faust aufs Auge: „We Three“ von The Ink Spots. Im Text wird immer wieder von „My Echo“ (Jimmy), „My Shadow“ (Saul), „And Me“ (Gene) gesungen.
  • Ein schönes Detail ist auch, dass bei Chucks Beerdigung dasselbe Lied („Sicilienne“) im Hintergrund läuft, das er in S2E2 selbst auf dem Klavier spielt. Es handelt sich um ein Duett zwischen Piano und Geige, was passend ist, weil Chucks Ex-Frau Rebecca selbst Geigenspielerin ist.
  • Fand es schön, mit Clifford Main und Rick Schweikart noch zwei weitere bekannte Gesichter aus den vergangenen Staffeln bei der Beerdigung wiederzusehen.
  • Als Jimmy am Anfang der Folge die Zeitung nach Stellenanzeigen durchsucht, kann man eine Anzeige für Laser Tags, die Saul später ja bekanntlich liebt, und Beneke Fabricators finden, was Fans von Breaking Bad auch ein Begriff sein dürfte.
  • „Someone will move against the Salamancas, which brings war, which brings chaos — which brings the DEA.“ – Ist zwar ein sehr cooles Zitat von Gus, aber auch ganz schön scheinheilig. Für die ersten beiden ist nur er selbst zu verantworten. Das dritte könnte uns Hank oder Gomie bringen, ein größerer zurückkehrender Charakter wurde für die nächsten Wochen bereits angekündigt. Würde Sinn ergeben.

 

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