Jahresende heißt auch gleichzeitig immer: Ranking-Zeit! Weil aber weder Menschen noch Bilder oder Emotionen meine Spezialität sind, habe ich mich – oh Wunder! – auf fiktionale TV-Serien konzentriert, die in diesem Jahr gelaufen sind. Bevor wir uns tatsächlich aber auf die Shows konzentrieren, die es auf die Liste geschafft haben, lohnt sich nochmal ein kurzer Blick auf die, die genau das um ein Haar nicht getan haben.

Es sagt nämlich einiges über ein Jahr aus, in dem ein launiges David-Simon-Drama wie The Deuce nicht in meinen Top 10 auftaucht, in dem die Urmutter aller modernen Detective-Shows namens Mindhunter oder mutige afroamerikanische Stoffe wie Insecure oder Dear White People nicht zu finden sind. Nicht einmal einer meiner ewigen Favoriten wie Fargo, welches mich genau hier in diesem Blog über Wochen und Monate hinweg hat grübeln und vor allem googlen lassen, taucht in meiner Liste auf. Ja, ein Jahr wie dieses muss ein gutes Jahr fürs Fernsehen gewesen sein.

Und natürlich erklärt sich von selbst, dass auch ich nicht jede einzelne Serie – auch wenn es mir manchmal so vorkommt, als hätte ich es um jeden Preis versucht – gesehen habe. „Peak-TV“, mit all seinen Networks, Kabelsendern, Pay-TV-Programmen und Streamingdiensten, fordert eben seine Opfer. Zu denen zählen bei mir unter anderem die von den Kritikern hochgelobten Twin Peaks, Better Things, The Good Place und Halt and Catch Fire. Aber das Ding hier heißt ja auch nicht „Die besten Serien aus 2017“ sondern „Meine Lieblingsserien aus 2017“.

Fangen wir also an.

10. Catastrophe

Wenn der einzige Kritikpunkt an dieser Serie seit Jahren lautet, dass die mittlerweile drei Staffeln mit ihren sechs halbstündigen Episoden einfach viel zu kurz sind, dann haben die Macher und Hauptdarsteller Sharon Horgan und Rob Delaney mal wieder alles richtig gemacht – außer eben die verdammten Staffellängen. Vielleicht aber auch genau deswegen wirkt die Serie weiterhin frisch, denn auch in Staffel 3 hat Catastrophe nicht an Charme verloren. Ganz im Gegenteil: Die düstere Wendung im Staffelfinale macht die Serie noch reifer und relevanter als je zuvor. [Verfügbar bei: Amazon Prime]

9. The Handmaid’s Tale

Der Emmy-Gewinner auf Platz 9! Die Adaption von Margaret Atwood’s gleichnamigen Roman war mit Sicherheit nicht immer ein angenehmes Seherlebnis. In Zeiten von anhaltender struktureller Unterdrückung von Frauen sowie den Erkenntnissen aus der #MeToo-Bewegung erscheint die Dystopie einer von Männer diktierten Theokratie jedoch nicht mehr unbedingt als weit hergeholtes Hirngespinst. Angeführt von dem kreativen Team um Bruce Miller und Reed Morano und der wie immer umwerfenden Hauptdarstellerin Elizabeth Moss dauerte es keine Minuten, dass man in The Handmaid’s Tale Must-Watch-Potenzial erkennen konnte. Ein Jammer, dass sich die Serie hierzulande bei Telekom EntertainTV Serien versteckt und einem größeren Publikum wohl für längere Zeit verborgen bleiben wird.

8. Lady Dynamite

Eine Show wie Netflix‘ Lady Dynamite findet man selbst unter den hunderten, die innerhalb des Jahres im Fernsehen liefen, kein zweites Mal. Schon Staffel 1 näherte sich sensiblen Themen wie Lebenskrisen und mentalen Krankheiten auf eine unverwechselbar schrille und für den geneigten Zuschauer womöglich ungewohnte Art – die Maria-Bamford-Art eben! In Staffel 2 setzt genau diese aber nochmal einen oben drauf und serviert uns einen noch verrückteren, zappeligeren Balanceakt über drei Timelines hinweg. Ergebnis sind nicht nur noch aufrichtigere Gefühlsregungen bei Maria und den anderen Charakteren, sondern auch bei uns Zuschauern. (P.S.: Womöglich befindet sich Maria in einer der Timelines in der Zukunft und spielt die Hauptrolle in einer vom Steamingservice von Elon Musk in Auftrag gegebenen Version von Lady Dynamite, aber seht selbst.) [Verfügbar bei: Netflix]

7. BoJack Horseman

Bojack Horseman hat auch in seiner mittlerweile bereits vierten Staffel den Spagat geschafft, mich sowohl mit seinem unglaublich albernen Humor zum Lachen zu bringen als auch die ein oder andere ehrliche Träne aus mir herauszukitzeln. Das Eintauchen in die Vergangenheit von BoJacks Familie, in die Untiefen seiner zutiefst depressiven Gedanken und schließlich in den Kopf seiner senilen Mutter war einmal mehr der Beweis dafür, dass BoJack Horseman – eine Serie, in der Andre Braugher ein Murmeltier mit Krabbenhänden spricht, das gegen einen Labrador namens Mr. Peanutbutter als Governor von Kalifornien antritt – eine der ehrlichsten Darstellungen von psychischen Störungen ist. [Verfügbar bei: Netflix]

6. One Mississippi

Wie so viele Serien der letzten Jahre wurde auch One Mississippi, die semi-autobiografische Dramedy von und mit Stand-Up-Komikerin Tig Notaro, in seinem zweiten Jahr noch ein bisschen selbstbewusster. Auf einer herrlich menschlichen, geerdeten Ebene tritt die Serie Themen wie sexueller Identität, Familie und Heimat entgegen, doch am meisten Lob verdient sie für den couragierten Umgang mit sexuellen Belästigungsvorwürfen gegen Komiker Louis C.K., der einst als großer Förderer von Notaro galt und in den Credits von One Mississippi sogar als Producer aufgeführt wird, in der Serie selbst aber quasi anonymisiert enttarnt wird, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte. Also werft euer Amazon-Prime-Abo an und nichts wie los, One Mississippi ist criminally underwatched, wie der Amerikaner sagt.

5. American Vandal

Die Überraschung des Jahres. Ähnlich wie es Stranger Things 2016 geschafft hat, sich völlig ohne Vorwarnung auf unsere Watchlists zu katapultieren, gelang das in diesem Jahr der True-Crime-Satire American Vandal, was wohl die Serie auf meiner Liste ist, an der ich tatsächlich am meisten Spaß hatte. Verantwortlich dafür war aber nicht nur die grotesk-witzige Prämisse der Serie, auf Making-a-Murderer-Art den Täter zu finden, der 27 Penisse auf Autos auf einem Highschool-Parkplatz gesprüht hat – nein, American Vandal überraschte mit authentisch-emotionalen Zwischentönen und hervorragenden schauspielerischen Leistungen, die in dieser Form nun wirklich niemand von der Serie erwartet hätte. [Verfügbar bei: Netflix]

4. Mr. Robot

Wenn American Vandal die Überraschung unter den neuen Serien war, dann war Mr. Robot die unter den wiederkehrenden. Nach einer zweiten Staffel zurückzukehren, die chaotisch und unentschlossen daherkam, und dann wieder die Kurve zu bekommen, war mit Sicherheit nicht einfach, aber es ist definitiv geglückt. Man drehte an den richtigen Stellschrauben, empfing neue, starke Charaktere und Handlungsstränge und erreichte ein Resultat, was man ohne zu zweifeln als die beste Staffel Mr. Robot und eine der besten Staffeln in diesem Jahr bezeichnen kann. Als Aushängeschild für spannende Geschichten, einen großartigen Cast und ambitioniertes Filmmaking verpasst die Serie zurecht auch nur ganz knapp das Treppchen. [Verfügbar bei: Amazon Prime]

3. Master of None

Wo wir gerade bei ambitioniertem Filmmaking waren – Master of None! Wer dachte, Aziz Ansari hätte in der ersten Staffel schon alles gezeigt, was er so draufhat, der irrt gewaltig. Staffel 2 ist lebensbejahend romantisch und gleichzeitig niederschmetternd traurig, sie interpretiert gewohnte Motive neu und geht manchmal dennoch ganz neue Wege. Vor allem aber zelebriert Master of None in jeder einzelnen Minute die Kreativität aller Beteiligten, wie es sich beispielsweise an der Schwarz/Weiß-Episode in Italien, der Kurzgeschichten-Folge in New York oder herzerwärmenden und völlig zurecht mit einem Emmy ausgezeichneten „Thanksgiving“-Episode zeigt, in der sich Devs Freundin Denise über die Jahre hinweg gegenüber ihrer Familie outet. [Verfügbar bei: Netflix]

2. Better Call Saul

Better Call Saul ist schon seit Staffel 1 mehr als nur der kleine Bruder von Breaking Bad, seit diesem Jahr kann man aber ohne Probleme die ernsthafte Diskussion darüber führen, welches tatsächlich die bessere Serie ist – und allein dieser Fakt steht doch schon dafür, auf welcher Ebene sich Better Call Saul mittlerweile bewegt. Staffel 3 war ein Festival komplexer Charakterbeziehungen und Gefühlswelten, am eindrucksvollsten unter Beweis gestellt von Bob Odenkirk, der Jimmy McGill zum meiner Meinung nach derzeit detailliertesten TV-Charakter gemacht hat, und Michael McKean, dem ein beeindruckendes Porträt eines psychisch kranken älteren Bruders gelungen ist. Mischt man all diesen Zutaten dann noch ein paar Priesen Kim, Mike, Nacho und Gus zu, ist die Silbermedaille für Better Call Saul mehr als nur gerechtfertigt.

1. The Leftovers

Wisst ihr, ich habe aufgegeben, The Leftovers anderen Menschen ans Herz zu legen, weil ich einfach nicht gut darin bin. Auch nach der dritten und letzten Staffel der HBO-Serie kann ich immer noch nicht prägnant sagen, worum es eigentlich geht. Geht es um Trauer, Verlust, den Umgang mit Verlust? Um Religion, Glauben, den Ursprung des Glaubens? Science Fiction? Oder einfach nur um den Tod?
Es hat bei mir eine Weile gebraucht, bis ich für mich entschieden habe, dass alles davon richtig und gleichzeitig falsch ist: Es geht um das Leben. The Leftovers ist für mich die Serie, die am nächsten an die tatsächliche Lebensrealität herankommt. In jeder Folge, jeder Handlung, jeder Szene gibt die Möglichkeit, die Serie aus verschiedenen Sichtweisen zu betrachten. Real oder irreal, rational oder irrational, religiös oder religionskritisch – nichts ist richtig, nichts ist falsch. Staffel 3 dreht sich noch selbstbewusster als zuvor um genau diese Dualismen, ohne sich dabei nicht viel Zeit für seine unvergesslichen Charaktere zu nehmen und zu unterhalten, was das Zeug hält.
Denn bei all den tiefgründigen existenzialistischen Gedanken, die man sich machen kann, aber nicht muss, vergisst The Leftovers auch in seinen letzten acht Episoden nie, eine (zum Ende hin immer öfter schreiend komische) Fersehserie zu sein und serviert unter anderem einen Fußmarsch durchs australische Outback, den König aller dick jokes sowie eine tasmanische Löwen-Sex-Party auf einem Boot. (Ja, das alles ist wirklich passiert und es war großartig.) Wie gesagt, ich bin wahrlich nicht gut darin, anderen The Leftovers zu empfehlen – aber wenn euch das nicht neugierig macht, dann weiß ich auch nicht. [Verfügbar bei: Sky, Amazon Video, iTunes]

 

Als ich meinen gesamten Text gerade nochmal überflogen habe, ist mir aufgefallen, wie dass das Wort „selbstbewusst“ nicht nur einmal gefallen ist. Müsste ich die Serienlandschaft 2017 mit einem Wort beschreiben, dann wäre es wohl genau dieses: Sender, Produzenten, Regisseure, Schauspieler – es scheint mir, als würden sich alle noch mehr zutrauen, endlich mehr Risiken zu gehen. Man kann nur hoffen, dass sich dieser Trend in 2018 fortsetzt.

Aber hey, ich habe The Leftovers gesehen. Ich weiß, wie Hoffnung geht.