„Wölfe und Schafe“, flüstert sich Jimmy am Ende zu. Er und Kim haben gerade Familie Kettleman aufs Kreuz gelegt, zuvor waren Howard und seine golfspielenden Anwaltsfreunde dran. Kein Wunder, dass sich Jimmy genau in diesem Moment an die Worte erinnert, die sein Leben prägen, seit sie ihm ein Kunde im Einkaufsladen seines gutgläubigen und bald bankrotten Vaters als kleiner Junge mitgegeben hat. Das Mantra ist keine Einteilung in Gut und Böse, sondern in in Menschen, die ehrenwert handeln, und diejenigen, die für ihre vermeintlich ehrenwerten Ziele einiges in Kauf nehmen.

Und damit: Willkommen zu meinem kleinen Begleit-Blog zur letzten Staffel von Better Call Saul! Ich schaffe es leider nicht, Woche für Woche im Podcast drauf einzugehen, dennoch wollte ich meine Lieblingsserie irgendwie miterleben, in Echtzeit. Keine Angst, die Texte sollen nicht lange werden. Ich will mir nur ein paar Theorien zusammenspinnen, sonst pack‘ ich das nicht.

Obwohl wir nur noch zwölf Folgen vor uns haben, wirkte das Ende von Better Call Saul selten so weit weg wie nach diesem Auftakt. Das liegt einerseits daran, dass Jimmy sich noch im Schockzustand befindet, nach seinem ungewollten Wüstenausflug mit Mike und der noch viel ungewollteren Konfrontation mit Lalo. Ja, Jimmy hat sich selbst ausgesucht, ein „Freund des Cartels“ zu sein, aber vor allem die Begeisterung, die seine immer mehr eskalierenden Eskapaden in Kim auslösen, scheint ihn aktuell noch etwas zu hemmen. Bis zu dem Saul Goodman, der Walt und Jesse ans Herz legt, den festgenommenen Badger in Staffel 2 von Breaking Bad einfach aus dem Weg zu räumen, braucht es noch ein Stück.

Andererseits fühlt sich das Ende noch weiter weg an als sonst, weil uns der jährliche Zeitsprung in die schwarz-weiße Welt des Gene Takovic abgeht. Wir erinnern uns: Als wir ihn zuletzt sahen, hat ihn ein Taxifahrer erkannt, Saul Goodmans Tarnung war aufgeflogen. Dass dieses Cliffhanger noch immer nicht aufgelöst wurde, dürfte dafür sprechen, dass wir in dieser Staffel womöglich sogar eine ganze Folge aus Genes Shoppingmall bekommen – womöglich endet die Serie sogar dort (siehe Staffelposter). Stattdessen katapultieren uns Peter Gould, Vince Gilligan und Co. in „Wine and Roses“ in eine Zeit, in der Walter White gerade in seiner Schneehütte in New Hampshire ausharrt und Jesse Pinkman hoffentlich seine ersten Holzarbeiten in Alaska anfertigt. Saul Goodmans Villa wird ausgeräumt und offenbart neben einer goldenen Toilette so viele Easter Eggs, wie man sie sich am Osterdienstag nur wünschen konnte. Die Turnschuhe, die schmerzhafte Erinnerungen an Rentnerin Irene hervorrufen, die Baseballkappe, die Jimmy bei seinem legendären Werbespot trug, Bingo-Kugeln, das „Mesa-Verde“-Logo, Einweghandys, Haarwuchspillen, Viagra – und: der Deckel einer gewissen Zafiro-Añejo-Flasche.

Ich weiß nicht, wie es euch ging, aber ich habe den Bildschirm buchstäblich gescannt – nach allem, was auch nur im Entferntesten einen Hinweis darauf geben könnte, wo Kim gerade steckt. War sie während Breaking Bad ein Teil von Jimmys Leben? Haben sie sich getrennt? Ist sie tot? Im Gefängnis? Weil die Autor:innen um die Brisanz der K-Frage wissen, wirkt der zu Boden gefallene Tequiladeckel wie der größte anzunehmende Teaser, den man sich wünschen konnte. Er könnte der einerseits der Beweis sein, dass Kim in Jimmys Haus war. Oder andererseits dafür, dass sich die Wege der beiden getrennt haben, schließlich fehlt der Deckel in Genes Schuhkarton von Habseligkeiten aus seiner Vergangenheit.

Wie auch immer die Zukunft von Jimmy und Kim aussieht: Die Gegenwart ist faszinierend genug. Ich habe online ein paar Reaktionen gelesen, in denen Leute irritiert waren von Kims vermeintlich rascher Charakterentwicklung, einer hat sie sogar als „evil“ bezeichnet (und das war nicht Betsy Kettleman). Vielleicht sollte man sich nochmal vor Augen führen, warum Kim gerade auf die Kettlemans so allergisch reagiert. Wir wissen, dass Betsy und Craig Betrüger:innen sind. Sehr putzige Betrüger:innen, aber trotzdem Betrüger:innen. Ihr neues Geschäftsmodell, ältere Kund:innen übers Ohr zu hauen, ist genau die Art von Kriminalität, die Kim mit ihrer geliebten Pro-Bono-Arbeit versucht zu bekämpfen. Also übernimmt sie die Führung und der noch immer wüstengeplagte Jimmy wirkt trotz abklingendem Sonnenbrand neben ihr beinahe etwas blass.

Es ist offensichtlich, dass uns die Serie gerade mit dem Gedanken vertraut macht, wie es wohl wäre, wenn nicht Jimmy dafür verantwortlich ist, die Saul-Goodman-Persona weiter auszuarbeiten und seine Taschenspielertricks zu einem Millionengeschäft zu machen, sondern Kim. Immerhin ist sie es, die im Staffelauftakt ein extravaganteres Auto (wie den Cadillac aus Breaking Bad, den wir im Cold Open sehen) und das dazugehörige Büro ins Spiel bringt. Kim als Schattenfrau hinter Saul Goodman, als eine Art passiver Adrenalin-Kick, während sie weiter als Rächerin der Enterbten irgendwelche Kettlemans verklagt? Ich glaube noch nicht ganz dran. Einfach weil es zu früh in der Staffel zu gut passt. Und wegen des Autos, das Jimmy und Kim auf den Fersen ist…

Wer wohl hinterm Steuer sitzt? Für mich gibt’s zwei Möglichkeiten: Die erste ist Howard bzw. jemand, der für ihn arbeitet. Der Plan, Howard eine Kokainsucht anzuhängen, ist gut, aber nach alldem, was er bisher durchmachen musste (Bowlingkugeln! Prostituierte!), dürfte er den Braten riechen. Und vieles spricht dafür, dass sein (wohl auch durch sein neues Yoga-Hobby verursachtes) Verständnis für Jimmy und Kim nach Chucks Tod aufgebraucht sein dürfte. Eine Auseinandersetzung zwischen Howard und den Partners-in-Crime, bei der es vor allem Kim, angetrieben von ihrem Hass für die Art von Erfolg, den Howard verkörpert, böse erwischen könnte, ist aktuell die wahrscheinlichste Theorie, wenn ihr mich fragt. Aber grundsätzlich: Slippin‘ Howard? I’m in.

Die andere Möglichkeit, wer in dem Auto sitzen könnte, heißt trägt Schnäuzer, hat seinem Doppelgänger sogar die Zahnarztrechnung bezahlt und heißt Lalo. Zugegeben, das ist relativ unwahrscheinlich, weil unser liebster Grinsegangster ja bekanntlich vorerst in Mexiko bleibt. Dennoch könnten auch Jimmy und Kim gewissermaßen als „Proof“ herhalten, wie Don Hector es nennt. Als Beweis dafür, dass Gus ein Verräter innerhalb des Cartels ist und hinter dem Anschlag auf Lalo und seine Männer steckt. Wahrscheinlicher ist aus meiner Sicht, dass sich Lalo an Gus‘ mysteriöses Bauprojekt erinnert, dem er schon einmal auf der Schliche war („Werner Ziiieeegler!“).

Und was war das bitte für ein Staffelauftakt für Nacho?! Ich bete für Darsteller Michael Mando, dass er in dieser Staffel noch einen Haufen solcher Szenen bekommt, nachdem er in den vergangenen Staffel leider häufig etwas hinten runtergefallen ist, obwohl seine Performance schon immer grandios war. Ein irrsinnig wichtiger Charakter für die Spannung in der Cartel-Storyline, weil wir sein Schicksal nicht kennen und uns die behutsame Charakterisierung nach über fünf Staffeln mittlerweile sogar für seine drogensüchtigen und dominospielenden Freundinnen rooten lässt. Alles, was mit Nacho zu tun hatte, war dazu optisch ein absolutes Highlight (die Folgen wurden inszeniert von Michael Morris und Vince Gilligan himself!). Die Schießerei vor dem ranzigen Motel (mit erstaunlich gutem Zimmerservice) war packend, was eine echte Kunst ist, weil zumindest bei den Salamanca-Cousins klar ist, dass ihnen nichts passiert. Außerdem war Nachos Rückwärtsgang-Angriff natürlich eine schöne Referenz an Hanks Parkplatz-Manöver gegen Marco und Leonel in Breaking Bad.

Wenn ich einen Kritikpunkt hatte an den vergangenen Staffeln, dann war es die Entwicklung von Gus, der mir teilweise etwas zu nah dran war an dem Typen, den Walt ein paar Jahre später hinter dem Tresen von Los Pollos Hermanos kennenlernt. „Carrot and Stick“ hat mir endlich eine Szene gegeben, die ihn nahbarer macht, weil er sich bei der Planung der Nacho-Situation durchaus Fehler eingestehen muss. Nur gibt er die natürlich nicht zu, stattdessen zerdeppert er ein Glas und muss die Scherben selbst aufsammeln. Ein Bild, das symbolisch für das steht, was ihm in dieser Staffel blüht. Lalo und das Cartel ruhig stellen, während ihm Mike ins Gewissen redet, dazu der weitere Aufbau des Superlabs – stressige Wochen für Gus.

Ein Zitat aus Breaking Bad, das in dieser Staffel seinen Ursprung haben könnte. Mit der Vorahnung, wie viel schief gehen könnte in der Situation mit Nacho und Lalo, klingt es fast wie eine Lehre:

„I don’t believe fear to be an effective motivator.“
Gus, Breaking Bad, S3E4

Zu Mike gibt’s zwei Sachen zu sagen: Nacho, wie später auch Jesse, erinnert ihn an seinen Sohn Matty. Er war loyal, aufrecht und hatte sein Herz gemäß Mikes Philosophie von guten und schlechten Kriminellen am rechten Fleck. Es ergibt Sinn, dass er für ihn kämpft – und für Nachos unbeteiligten Vater. Gleichzeitig weiß er, für wen er arbeitet, er tut also das, was ihm aufgetragen wird. Mit der Entscheidung hat er lange genug gerungen, mit den Konsequenzen der Entscheidung muss er jetzt leben. Selbst wenn das böse enden können für Mr. Varga, wenn ihr mich fragt. Die andere Sache: Ich bin gespannt, wie lange Gus das moralisch daherredende Engelchen Mike auf seiner Schulter duldet. Ich hoffe ein bisschen auf Spannungen zwischen den beiden und einen echten Vertrauensbeweis vor Breaking Bad, der deren enge Beziehung erklärt.

Ein paar Kleinigkeiten:

  • In „Carrot and Stick“ gibt’s eine weitere wunderbare Analogie zwischen Better Call Saul und Breaking Bad. Tyrus bedroht Mike mit einer Waffe, während er Nacho am Hörer hat. Walt wird ein paar Jahre später Jesse befehlen, Gale zu töten, als Mike die Pistole auf ihn richtet.
  • Die gesamte Golfclub-Sequenz ist so gold wie Sauls Kloschüssel. Dass Bob Odenkirk in solchen Szenen aufgrund seiner Sketch-Vergangenheit glänzt, war ja bekannt, aber alle Beteiligten machen das perfekt. Lustigste Szene seit dem Squat Cobbler?
  • Ich will mehr Clifford Main an der Gitarre. Und hey, willkommen zurück, Erin! Ihr erinnert euch an Staffel 2, als sie und Jimmy in der Kanzlei nicht das beste Verhältnis hatten?
  • Ein bisschen mehr Spekulation um das Opening: Könnte es sein, dass Sauls Villa ein Geschenk war, das dabei rausspringt, wenn man ein „Freund des Cartels“ ist? Ich meine, er hatte einen Safe Room und alles. Wir sehen Saul zwar auch in Breaking Bad mit einer schusssicheren Weste, aber wer weiß, vielleicht hat Lalo ja auch Architekt:innen auf seiner Gehaltsliste.
  • Achtet mal auf Kims Outfits in dieser Staffel. Normalerweise trägt sie nur schwarz, weiß und blau. Es war richtig ungewohnt, sie in rot zu sehen. Mich hat sie in der Bluse total an Saul erinnert.
  • Ich bin all in für mehr Kettlemans. Die beiden Schauspieler:innen haben so eine tolle Chemie, was wohl auch der oberste Grund war, warum man sie unbedingt zurückholen wollte. Außerdem sind sie ja wohl diejenigen, die Jimmy eine aufblasbare Lady Liberty verschaffen?

Wie fandet ihr die Folge?

Schreibt’s mir gerne bei Twitter oder hier drunter in die Kommentare!

Folgt außerdem meinem Podcast „Fernsehen für alle“ – überall, wo es Podcasts gibt.