Als vor einigen Monaten bekannt wurde, dass Netflix eine ganze Reihe von deutschen Serien in Auftrag gegeben hat, war How To Sell Drugs Online (Fast) zumindest bei mir diejenige, auf die ich mich am meisten freute. Verantwortlich für diese Vorfreude war vor allem das Team hinter den Kulissen: Mit der bildundtonfabrik übernahm eine Produktionsfirma, die seit Jahren vor allem mit dem stets sehr aufwendig produzierten Neo Magazin Royale auf sich aufmerksam macht. Als diese dann auch noch Arne Feldhusen, der Tatortreiniger-Macher, und Lars Montag als Regisseure engagierten, war spätestens klar, dass die Kölner in ihrem ersten Serienprojekt nichts dem Zufall überlassen würden. Ingesamt muss man sagen: How To Sell Drugs Online (Fast) ist ein anständiges Fiction-Debüt der btf, das in seiner Ausführung vor und hinter der Kamera brilliert, in seiner Story aber nach den bisherigen sechs Episoden noch etwas blass bleibt.

Die Geschichte basiert auf dem realen Fall eines ostdeutschen Teenagers, der aus seinem Kinderzimmer im Darknet Drogen verkauft hatte und dafür vor vier Jahren verhaftet wurde. Der damals unter dem Pseudonym bekannte „Shiny Flakes“ heißt in HTSDO(F) allerdings Moritz (Maximilian Mundt), sein Wohnort ist nicht Leipzig, sondern eine fiktive Kleinstadt namens Rinseln und auch sonst nehmen sich Showrunner Philipp Käsbohrer und Matthias Muhrmann allerlei Freiheiten, kleinere und größere Details hinzuzufügen und wegzunehmen, um eine spannende Story zu schreiben. Wer sich bei dieser Prämisse schnell an ähnliche Konzepte wie Breaking Bad oder Weeds erinnert fühlt, der liegt nicht ganz falsch, da sich HTSDO(F) mehreren etablierten Motiven dieser Serien wie z.B. dem Verwandten, der zufällig für die Polizei arbeitet, oder einem unberechenbaren Antagonisten annimmt. Insofern ist es nicht unberechtigt zu sagen, dass der Drogendealer-Anteil der Geschichte weitaus weniger von der Norm abweicht, als man es von den Kölner Querdenkern hätte erwarten können.

Es ist deshalb auch nicht ganz überraschend, dass mich diese Hälfte schon nach kurzer Zeit weniger interessierte als alles, was die Serie sonst noch parat hat. Denn was die Hintergrundgeschichten und Motivationen der jugendlichen Charaktere angeht, gelingt es HTSDO(F) sehr wohl, eine originelle und zeitgemäße Geschichte zu erzählen. In ihrem Zentrum steht das Pärchen Moritz und Lisa (Lena Klenke), deren Beziehung nach Lisas Auslandsaufenthalt in Amerika abgekühlt ist. Nicht viel besser wird Moritz‘ Situation, als Lisa damit beginnt, sich für Ecstasy und den schmierigen Capoeira-Kämpfer Daniel (Damian Hardung) zu beigeistern. Die Serie nimmt sich überraschend viel Zeit dafür, um Moritz‘ Beweggründe hinter seiner Entscheidung zu erklären, die eigene Gaming-Website, die er zusammen mit seinem besten Freund Lenny (Danilo Kamperidis) betreibt, in einen internationalen Versandhandel für illegale Drogen aller Art umzufunktionieren. Das lohnt sich, weil die Szenen, in denen Moritz vergeblicht versucht Lisa mit seiner neugewonnenen Experimentierfreudigkeit zurückzugewinnen, stets eine höhere Fallhöhe besitzen als die, in denen er seinen naiven Polizisten-Vater (Roland Riebeling) hintergeht oder sich Drogenhändler Buba (Bjarne Mädel) entgegenstellt.

Sehenswert ist diese Coming-of-Age-Geschichte insbesondere deshalb, weil sich HTSDO(F) mit einem unglaublichen Auge für Details und Authetizität der aktuellen Jugendkultur nähert, während sich andere Serien daran seit Jahren die Zähne ausbeißen. Jugendliche kommunizieren wie Jugendliche, Chatverläufe sehen aus wie Chatverläufe, das Schulleben fühlt sich an wie Schulleben – das alles hilft der Serie, sich noch mehr in der Wirklichkeit zu verankern. Ohne das nachprüfen zu können, spricht es auch für die Macher, dass sämtliche Repäsentationen des Darkwebs sowie alle Codes in der Serie wohl tatsächlich authentisch sind. Den Regisseuren, Editoren und Animatoren gelingt es zudem, den Rausch der sozialen Medien inszenatorisch fast auf eine Stufe mit einem tatsächlichen Drogenrausch zu stellen, wie er in HTSDO(F) mehr als einmal abgebildet wird.

Dass eine btf-Produktion zudem über eine ausgeprägte Portion Humor verfügt, sollte einen nicht überraschen. Die Häufigkeit, wie aber mit popkulturellen Referenzen um sich geworfen wird, ist schon beeindruckend – auf die Spitze getrieben wird dies in Folge 2, in der ein ganz besonderer Gaststar ein Cameo feiert. Der einzige Kniff, der für mich bis zum Ende nie wirklich Sinn ergeben hat, ist der Meta-Gag, dass Moritz und die anderen Charaktere um die Produktion der Netflix-Serie wissen. Es ist aber durchaus möglich, dass die Pointe auch erst in Staffel 2 folgt.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler profitieren von den authentischen Dialogen und verleihen ihren Charakteren in den meisten Fällen eigene Akzente. Vor allem Maximilian Mundt ist eine echte Entdeckung als Moritz, den er als liebevollen, aber dennoch latent arroganten Weirdo zeichnet. Auf diese Weise kann man Lisas Sehnsucht nach Abwechslung jederzeit nachvollziehen. Bjarne Mädel spielt handwerklich großartig und macht das meiste aus Buba, leider konnte ich mich mit seinem Charakter aber zu keiner Zeit anfreunden. Er bleibt für mich einfach ein generischer Antagonist, dem man im Verlauf der sechs Folgen nie wirklich nahkommt.

Ich vermute, dass viele Schwächen daher kommen, dass ich die erste Staffel mit nur sechs halbstündigen Episoden einfach für zu kurz halte, um gleich mehreren Charakterentwicklungen ausreichend Rechnung zu tragen. Wie bereits erwähnt: Ich schätze das behutsame Pacing gerade in den ersten zwei, drei Folgen, jedoch fühlt sich das Staffelfinale wie abgeschnitten und letztendlich unbefriedigend an. Halbstündige Dramas und Dramedies liegen auch in den USA voll im Trend, man muss aber zugeben, dass es Serien wie Barry, Homecoming oder Vida gelang, ihre Staffeln in sich besser abzurunden. Besonders sichtbar wird das aus meiner Sicht an Lenny, den ich für einen Charakter mit viel Potenzial halte, aber in der ersten Staffel viel zu kurz kommt. Wenn dem Zuschauer das Schicksal seiner tödlichen Krankheit wirklich nahegehen soll, dann hätten wir mehr Zeit mit ihm alleine verbringen müssen. Seine Charakterzüge, von Moritz enttäuscht zu sein und ihn gleichzeitig als Freund nicht verlieren zu wollen, während er seine wahren Gefühle bzgl. seiner Krankheit verdrängt, sind zwar zu erahnen, aber wirklich sichtbar sind sie in zu wenigen Szenen.

Letztendlich vergeht How To Sell Drugs Online (Fast) wie im Rausch. Bunt, schnell, flippig wie Ecstasy – doch am nächsten Morgen fragt man sich, ob man es nicht hätte langsamer angehen lassen sollen. Andererseits steht das (Fast) ja bereits im Titel.

Würde ich mir eine zweite Staffel anschauen? Auf jeden Fall. Gönne ich der bildundtonfabrik eine Fortsetzung? Definitiv. Ich traue allen Beteiligten ohne Zweifel zu, nochmal eine Schippe draufzulegen. Und vielleicht kriegt man mit Netflix ja sogar verhandelt, dass eine eventuelle zweite Staffel sogar acht statt sechs Episoden bekäme. Ich glaube, dass das die optimale Länge wäre, um die Probleme des ersten Jahres anzugehen.

Mein Urteil: 6,5 von 10 Ecstasy-Pillen.

 

Die gesamte erste Staffel von How To Sell Drugs Online (Fast) ist verfügbar auf Netflix.