Eines vielleicht vorweg: Ich habe den Kinofilm Who Is Hanna? aus dem Jahr 2011 nicht gesehen. Ich kann nicht sagen, inwiefern dieser sich von der von Amazon neuverfilmten TV-Serie unterscheidet oder ob Esme Creed-Miles die 15-jährige Hauptfigur besser spielt als Saoirse Ronan. Beurteilen kann ich nur, mit welchem Gefühl mich die achtteilige Serie von David Farr (der auch für den Film verantwortlich war) zurücklässt — nämlich mit einem recht positiven, was ich von einem so stark auf Action ausgerichteten Thriller nicht erwartet habe, nachdem mich vergleichbare Produktionen wie Tom Clancy’s Jack Ryan aus dem vergangenen Jahr eher enttäuscht hatten.

Die Story ist nichts revolutionär Neues und recht einfach zu umreißen: Joel Kinnaman spielt den CIA-Agenten Erik Heller, der ein Baby aus einer geheimen Regierungseinrichtung befreit. Um seinen Verfolgern, an deren Spitze sich die von Mareille Enos verkörperte Marissa Wiegler befindet, zu entkommen, flieht er mit der kleinen Hanna in den Wald irgendwo in Zentraleuropa. Dort trainiert Erik sie 15 Jahre lang, ehe sich die inzwischen zur Kampfmaschine ausgebildete Hanna gegenüber ihren Widersachern behauptet, die noch immer Jagd auf sie machen. Es entwickelt sich ein klassisches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Loyalitäten gebrochen und Fronten gewechselt werden.

Die Pull-Faktoren, die mir die Serie schmackhaft gemacht haben, waren also nicht etwa der Kinofilm oder das Genre — auf meinem Zettel stand Hanna vielmehr deswegen, weil der Cast Mareille Enos und Joel Kinnaman, das ungleiche Ermittlerduo aus The Killing, wiedervereint. Zwar wurde meine Vorfreude auf ihr Zusammenspiel etwas gedämpft, nachdem ich erfahren hatte, dass sie in dieser Geschichte für unterschiedliche Seiten kämpfen. Dennoch leisten beiden gewohnt solide Arbeit. Gerade Enos‘ leise Stimme und ihr eiskaltes Lächeln fand ich spannend in der Rolle der Antagonistin. Kinnaman tut man mit dem deutschen Akzent zwar keinen Gefallen, er schafft es der Rolle der missverstandenen Vaterfigur aber eine gewisse Brüchigkeit zu verleihen.

Im Falle von Hanna und ihrer Darstellerin Esme Creed-Miles wusste ich anfangs nicht, was ich von der Rolle halten soll. Es hat ein paar Episoden gebraucht, bis ich verstanden habe, dass dieses Hölzerne in Creed-Miles‘ Spiel gewollt ist, schließlich verkörpert sie eine notgedrungene Einzelgängerin, die außerhalb der Gesellschaft aufwächst. „Your unique“, sagt ihr Marissa Wiegler an einer Stelle, worauf Hanna antwortet: „Unique just means alone.“

Leider verfällt die Serie in den Folgen, in denen sie Hannas Einsamkeit und ihre soziale Ungeschliffenheit explizit thematisiert, oft in Klischees. Die Handlung führt sie beispielsweise in einen Nachtclub, wo man die Szenen des Auswählen des Outfits, des Tanzens und der ersten Kontakte zur Männerwelt schon kilometerweit anfliegen sieht. Man würde die ein oder andere Länge in diesen Folgen wohl in Kauf nehmen, wenn sie am Ende der Staffel zu etwas mehr führen würde als zu Hannas zunehmender Emanzipation von Erik. Betrachtet man die drei Genres, die Hanna vereint — Action-Thriller, „Auserwählten-Drama“ und Coming-of-Age-Story —, so sehe ich Hannas Erwachsenwerden als am schwächsten ausgearbeitet.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Charakterentwicklungen komplett misslingen. Die Beziehung zwischen Hanna und Erik ist das eindeutige Herz der Serie, das vor allem in der zweiten Staffelhälfte besonders laut pocht. Das Auf und Ab zwischen der Jugendlichen und ihrem Beschützer treibt die beiden quer durch Europa, unter anderem nach Berlin, wo der aus Babylon Berlin (und vielen weiteren Produktionen) bekannte Benno Fürmann zum Cast hinzustößt. Ganz nebenbei: Hier muss man ein großes Lob an all die englischsprachigen Schauspieler aussprechen, die zum Teil viel Deutsch sprechen mussten. Klang bei allen sehr passabel.

Was bleibt sonst noch zu sagen? Die Actionsequenzen sind stark inszeniert und stellen Hannas fast übermenschliche Kräfte gut heraus. Klar, es gibt gefühlt über zwanzig Situationen, in denen bewaffnete Menschen viel zu leicht entwaffnet werden, aber das muss man bei einer solchen Serie ganz einfach mal akzeptieren. Der Soundtrack bleibt im Kopf und die poppigen Songs sind meist gut ausgewählt.

Am Ende hinterlässt Hanna einen positiven Eindruck und tut das, was es tun muss, um als unterhaltsames Action-Abenteuer zu gelten. Obwohl die Entwicklung Hannas gerne etwas interessanter hätte ausfallen können, schaut man allen Beteiligten gerne zu, was nicht nur am guten Cast, sondern auch an den Figurenzeichnungen liegt. Ich kam für Linden und Holder aus The Killing und bin für Hanna geblieben.

Mein Urteil: 7 von 10 toten Hasen.

 

Die gesamte erste Staffel von Hanna ist verfügbar bei Prime Video.

 

Wie fandet ihr Hanna?
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