Genau wie Kim Huell nicht aus der Patsche helfen musste, musste sie auch nicht in einer wahnwitzigen Aktion die Grundrisse eines neuen Bankgebäudes austauschen, um ihrem Chef seinen Wunsch zu erfüllen. Tut sie das für Jimmy? Für sich selbst? Das ist ein Punkt, der nicht nur für uns schwer zu beantworten ist, sondern auch für die beiden selbst, wie sich in der fantastischen Szene auf dem Parkhausdach zeigt. Und was will Mike? Freundschaft mit Werner oder seine Partnerschaft mit Gus gefährden? Und was hat Lalo eigentlich mit Nacho vor?

Jimmy, you are always down.
– Kim

„Wiedersehen“ beschäftigt sich gar nicht so mit der Vergangenheit, wie man nach dem Titel vielleicht vermuten könnte. Ganz im Gegenteil, Jimmy plant in dieser Folge ganz eifrig seine Zukunft als Anwalt. Wiedermal der Streitpunkt ist: Wird Kim daran teilhaben? Gemeinsame Wohnen schön und gut, aber es ist sein ganzes Laben, das er mit ihr teilen will. Dazu gehört eben auch sein Beruf. Sein unbedingter Wille, mit ihr erneut eine gemeinsame Kanzlei zu eröffnen, kommt dabei nicht von ungefähr. Schon Chuck wollte er immer beweisen, dass doch kein so großer Nichtsnutz ist, wie das vielleicht wirkte, als ihn sein großer Bruder aus dem Gefängnis befreit hat. Das Kim ihm jetzt ganz offensichtlich auch zu verstehen gibt, dass sie auf professioneller Ebene nichts mit Jimmy zu tun haben will, tut dann doppelt weh. Aus Kims Sicht natürlich verständlich, genauso gut können wir aber auch Jimmys Schmerz nachvollziehen, der Dinge selten mit bösen Absichten macht, sich aber trotzdem vom einen Unheil ins nächste stürzt. Ich liebe Better Call Saul dafür, dass wir eigentlich ständig mit Konflikten konfrontiert werden, in denen wir eigentlich beide Seiten verstehen können und niemand wirklich unrecht hat.

What about Chuck?! Chuck was alive and now he’s dead and that’s that.
– Jimmy

Chuck ist aber ein gutes Stichwort. Es sieht nämlich ganz so aus, als würde seine Asche noch irgendwo über Albuquerque herumschwirren und Jimmy jetzt vorerst seine Wiedereinstellung als Anwalt verhindern. Indirekt zumindest. Obwohl wir aus „Chicanery“ wissen, dass viele Angestellte der New Mexico Bar Association Chuck ihre Karriere verdanken, ist es ja nicht so, als könnte er was dafür, dass sich Jimmy seinen Gefühlen nicht stellen will. Oder tut er das und ist eben nicht „incincere“, wie ihm das Board vorwirft? Zwar war es offensichtlich, dass alle Fragen darauf abdrifteten, dass Jimmy den Namen seines Bruders endlich erwähnt, aber womöglich haben Chucks letzte Worte an ihn wirklich dafür gesorgt, jegliche Bindung, die da mal bestanden haben mag, für immer abzutrennen. Warum dann aber das lange Gesicht bei seiner Beerdigung bis Howard sich die Schuld gab? Man muss auf der anderen Seite natürlich die Leute aus der Anhörung verstehen. Ein Verbrechen gegen seinen Bruder war der Grund, warum ihm seine Lizenz überhaupt entzogen worden war. Ein Ausdruck von Reue ist da das Mindeste, was zu erwarten wäre. Chuck aber mit keiner Silbe zu erwähnen, zeigt dem Gericht nur, dass er seine Entschuldigung eben nicht aufrichtig meint.

Und seien wir mal ehrlich: Das Gericht läge in Anbetracht der Tatsache von Jimmys Vergangenheit, seiner aktuellen Tricksereien mit Kim und seiner Zukunft als Saul Goodman goldrichtig, ihn nicht wieder als Anwalt arbeiten zu lassen. Man muss kein großer Prophet sein, jetzt für das Staffelfinale vorauszusagen, dass Jimmy und Kim erneut gemeinsam einen Plan entwickeln, doch noch seine Lizenz zurückzubekommen. Es hat etwas von einem letzten großen Knall, den es für diese zwei Charaktere braucht – allerdings könnte er in die eine aber genauso gut auch in die andere Richtung gehen. Der Plan könnte die beiden näher zusammenbringen als je zuvor, weil so Kim vielleicht realisiert, dass die beiden unbedingt ihre Kräfte vereinen sollten, da es immer im Auge des Betrachters liegt, was eine „gute Tat“ ist und was nicht, für die die beiden diese einsetzen. Andererseits – und das verspricht aus meiner Sich mehr Drama – könnte es auch das letzte Gemeinschaftsprojekt der beiden sein. Kim könnte Konsequenzen zu spüren kommen, noch bevor sie merkt, dass sie da gerade ein Monster namens Saul Goodman erschaffen hat. Wobei dagegen immer noch meine Theorie zu Kim und dem Telefonanruf aus der vergangenen Woche spricht.

You wanna see your wife? Then finish the job.
– Mike

Auch in der Nebenhandlung um Mike und Werner scheint die grobe Handlung im Staffelfinale relativ klar. Mike wird den verschwundenen Werner suchen, ihn finden und damit zu kämpfen haben, mit Werner seinen ersten Mord zu begehen nach den zwei Polizisten, die seinen Sohn Matty umgebracht haben. Ich würde mich aber nicht zu sehr drauf verlassen, dass das auch wirklich so eintritt, schließlich bin zumindest ich völlig auf die falscheste aller Fährten namens Kai hereingefallen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Werner für Gus eigentlich unentbehrlich ist. Ein neues Team an Arbeitskräften dürfte da leichter aufzutreiben sein, möglicherweise bedrohen Gus‘ Leute auch auf irgendeine Weise Werners Frau Margarete in Deutschland. So oder so, ich mag es sehr, dass auch Mike Fehler macht. Mike war schon immer ziemlich eiskalt, aber dass ihn sein Freund Werner so hängen lässt, erklärt, warum er sich danach weder von Jimmy noch von Walt je wieder in die Karten schauen lässt. Einzig Jesse ist es phasenweise gelungen, hinter die dicke Schale aus Abgestumpftheit und Selbstschutz zu kommen – ähnlich wie Werner.

And here we are, getting along.
– Lalo

Während Mike einen Freund verliert, gewinnen Gus und Nacho einen Feind hinzu. Und das, obwohl er gar nicht wie einer wirkt. Lalo ist faszinierend, auch in seinem zweiten Auftritt. Das Dauergrinsen, die gespielte Höflichkeit, das ständige Wechseln vom Englischen ins Spanische. Vor allem Gus kann noch nicht so richtig damit umgehen. Natürlich wusste er, wen er da in seinem Büro sitzen hat, aber wie geht man mit dem scheinbar intelligentesten Teil der Familie Salamanca nun um, wenn man sonst nur mit Tieffliegern wie Hector oder den Cousins zu tun hat? Ich glaube, er kennt selbst noch nicht die Antwort, auch wenn er eine Ahnung hat, dass der Typ gefährlich sein könnte. Dass das auch Nacho weiß, will ich für ihn hoffen. Obwohl wir in „Wiedersehen“ nicht sehen, wie sich seine Fluchtpläne weiterentwickeln, glaube ich, dass sich diese nach Lalos Ankunft eher beschleunigen als verlangsamen. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit bis Lalo irgendeine Kleinigkeit, irgendeine Ungereimtheit auffällt. Und dann ist Nacho dran. Oder Papi.

Ein paar Details zur Folge:

  • Auch wenn ich die Hintergrundgeschichte zu Hectors Glocke nicht unbedingt gebraucht hätte, zeigte sie ganz deutlich, wie die Salamancas zu Außenseitern in ihrem Familiengeschäft stehen. Die können ihnen wie Nacho scheinbar noch so wohl gesonnen sein, wenn es um die wichtigen Themen geht, müssen sie nebenan warten wie kleine Schuljungen. Dass Nacho aber die grausame Glocken-Story hören durfte, war sicher reiner Zufall.
  • Jimmy wirft seine Aktentasche an derselben Stelle gegen die Wand, wo exakt ein Jahr zuvor Huell eine Batterie in Chucks Jacket versteckt hat. Die Szene erinnert auch an Walts Pizza-Wurf auf Skylars Dach.
  • Warum hat Werner eine Panikattacke bekommen, als er die Sprengung nochmal überprüft hat? Wahrscheinlich hat ihn Mikes Warnung aus der vergangenen Folge mehr geschockt als gedacht. Außerdem war es bestimmt auch einfach Angst, dass ihm hier gleich alles um die Ohren fliegt und er seine Frau nie wieder sehen kann. Auch wenn es dafür im Prinzip keine Anzeichen gibt, gibt es auch einige die eine schwere Krankheit vermuten.
  • Ein sehr cooles Detail aus dem Streit auf dem Parkplatzdach, als Jimmy Kim vorwirft: „You think I’m some kind of lowlife, some kind of lawyer guilty people hire!“ – „You’re some kind of lawyer guilty people hire“ ist genau der Satz, dem ihm Betsy Kettleman in Staffel 1 sagt, als er sich den Arsch abarbeitet und alles tut, um den Fall übernehmen zu können. Er scheint echt Eindruck bei ihm hinterlasse zu haben.
  • Ein Kommentar von Chuck in „Lantern“, der nach „Wiedersehen“ wie eine Art Prophezeiung wirkt, wenn man sich Jimmys Handeln in der Folge vor Augen führt: „Jimmy, this is what you do. You hurt people. Over and over and over. And then there’s this show of remorse.“
  • Go Land Crabs!

 

Wie fandet ihr die Folge?

Schreibt’s mir gerne bei Twitter oder hier unten drunter in die Kommentare.