Ich bin ganz ehrlich: Ich habe Marie Kondo vor Tidying Up nicht gekannt. Ich wusste nicht, dass ihr Buch The Life-Changing Magic of Tidying Up aus dem Jahr 2014 ein internationaler Bestseller war und sie seitdem als Schutzheilige der Selbstorganisation gilt.

Dementsprechend verblüfft war ich, mit welcher Selbstverständlichkeit Kondo als eine Mischung aus Tine Wittler, Katja Saalfrank und der Zahnfee durch amerikanische Wohnungen schwebt und die Kandidaten beispielsweise dazu bringt, ihre Gewürzschubladen auszumisten oder die Nussknackersammlung aufzugeben. Doch nicht nur die Menschen und Familien, denen Kondo ihre Philosophie des Aufräumens in den acht Folgen der Netflix-Realityshow näher bringt, werfen die kleine Japanerin trotz der Absurdität der ganzen Inszenierung nicht sofort aus dem Fenster, als sie sich zum Beispiel erstmal auf den Boden legt, um „das Haus zu begrüßen“ – auch ich konnte nicht so wirklich abschalten. Woran das liegt, ob Kondo mit ihren Lehren möglicherweise einen Nerv trifft oder einfach nur auf einer weirden ASMR-Welle reitet, da bin ich mir noch nicht so ganz sicher.

Fest steht auf jeden Fall, dass Tidying Up with Marie Kondo rein formal nichts Interessantes bietet. Muss es auch gar nicht, wo sich doch das klassische Format der Wohnungs-Makeover-Show über Jahre hinweg bewiesen hat. Eine Folge beginnt damit, dass uns die Kandidaten vorgestellt werden und wir ihre Eigenarten und die ihrer Häuser und Wohnungen kennenlernen. Schnell fällt einem auf, dass sie aus vielerlei Hinsicht nicht besser hätten gecastet werden können: Wir treffen auf ein sehr diverses Feld an Personen, was deren Alter, Abstammung und Sexualität angeht. Zumal ist wirklich jeder von ihnen aus produktionstechnischer Sicht perfekt fürs Reality-Fernsehen geeignet, weil sie so extrovertiert und emotional auftreten, dass sie gleich einen Folgevertrag für Big Brother unterschreiben könnten. Insbesondere das Pärchen der ersten Folge ist da fast schon die Krönung. Deren Tränenausbrüche in den banalsten Momenten gingen mir schon nach ein paar Minuten auf die Nerven. Ja, in Tidying Up kullert so manche Träne.

Aber womöglich verstehe ich auch einfach „Kon Mari“ nicht. Und „womöglich“ heißt in diesem Fall, dass ich es ganz sicher nicht checke. Es handelt sich dabei um Marie Kondos japanische Organisationsphilosophie, die anscheinend darauf basiert, Menschen zu fragen, ob sie beim Halten von alten Gegenständen immer noch Glück empfinden. So oder so ähnlich, zumindest fällt die Frage „Does it still spark joy for you?“ dreizehntausendmal. Nachdem wir also unsere Kandidaten kennengelernt haben, stattet Kondo ihnen einen ihrer sporadischen Besuche ab, in denen sie die teilweise gar nicht allzu chaotischen Wohnungen mehr oder weniger genau inspiziert und dann breit grinsend aus ihrer „Kon-Mari“-Methode zitiert. Das Kurioseste daran ist eigentlich, dass Kondo nur sehr rudimentäres Englisch spricht, weshalb sie von einer Dolmetscherin begleitet wird, die die Lehren Kondos wie eine Prophetin für uns Aufräum-Amateure übersetzt. Es wirkt teilweise wie eine Parodie seiner selbst.

Es sind garantiert nicht Kondos Besuche, in denen sie unter anderem erklärt, wie man Socken korrekt im Schrank verstaut oder wo man wichtige Dokumente aufbewahrt, die den Reiz von Tidying Up ausmachen. (Spoiler: Für die meisten ihrer Tipps eignen sich die praktischen Hikidashi-Boxen, die Kondo für günstige $89 verkauft.) Nein, es sind eher die Momente, in denen sich die Kandidaten mit sich selbst auseinandersetzen, um herauszufinden, warum sie an gewissen Gegenständen so sehr hängen, dass sie sie nicht abgeben wollen. Auf diese Weise erfahren wir die wirklich interessanten Geschichten, wie zum Beispiel im Falle von Ehefrau Suneeta in Folge 6, die sich von ihren Klamotten nicht trennen kann, obwohl diese ihr mittlerweile viel zu klein sind. Sie erklärt Kondo, dass sie hofft, eines Tages wieder in die Kleider zu passen. Sie dienen also gewissermaßen als Ansporn, weshalb sie die Klamotten nach dem „Sparking-Joy“-Test schließlich behält.

In den meisten Fällen sehen die Kandidaten aber ein, dass das zu lange Festklammern an vermeintlich sentimental aufgeladenen Gegenstände selten besonders viel Sinn macht. Und auch wenn das Wegwerfen von kiloschweren Baseballkartensammlungen und seit Jahren abgelaufenen Ketchupflaschen jetzt hoffentlich nichts allzu Revolutionäres darstellen, so kann man Tidying Up einen entspannenden und – no pun intended – reinigenden Charakter beim Zusehen irgendwie nicht absprechen. Ob man dazu Marie Kondo und ihre Philosophie des Aufräumens braucht, weiß ich nicht. Soll mich aber auch nicht weiter stören, wenn die Sendung weiter dafür sorgt, dass mehr Menschen ihre gebrauchten Klamotten spenden anstatt sie wegzuwerfen oder eben bei sich im Schrank verrotten zu lassen.

Mein Urteil: Sechs von zehn Hikidashi-Boxen.

 

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