Disclaimer: Die folgenden Zeilen könnten Beschreibungen enthalten, wie ein Charakter aus Better Call Saul ein Coati, auch bekannt als das süßeste Tier Südamerikas, quält. Die dargestellten Inhalte sind fiktional und spiegeln nicht die Meinung des Autors wider.

Ich hätte von einer Folge mit dem Titel „Piñata“ nicht unbedingt erwartet, dass sie die sein würde, die bisher am tiefsten in die Beziehung von Jimmy und Kim eintauchen würde. In Vergangenheit und Gegenwart bekommen wir gezeigt, wie die beiden zueinander fanden und warum sie jetzt dort stehen, wo sie stehen: In Situationen, in denen Jimmy und Kim wohl innerlich immer mehr begreifen, dass eine gemeinsame Zukunft schwer vorstellbar ist. Während die eine Beziehung bröckelt, arbeiten Gus und Mike weiter am Fundament des Superlabors, indem sie in dieser Woche einige deutsche Arbeiter hinzuziehen, wovon sich einer schon nach fünf Minuten dafür empfiehlt, den Kopf abgeschlagen und auf einen Schildkrötenpanzer platziert zu bekommen.

Beginnen wir aber bei Jimmy und Kim. Wie schon in der vorausgegangenen Folge startet „Piñata“ mit einem Flashback, der uns eine leicht neue Perspektive schenkt, wie wir den aktuellen Plot einordnen können. Wir wussten bereits, dass Jimmy und Kim sich im Mailroom von HHM kennengelernt haben. Wir wussten aber noch nicht, dass Jimmy zu diesem Zeitpunkt noch kein wirkliches Interesse an Jura und Gesetzen hatte, sondern sich eher als eine Art Animateur der Firma begriffen hat, dessen wichtigste Aufgabe es ist, ein Oscar-Tippspiel zu managen. Der Unterschied zu Kim könnte kaum größer sein, die überaus engagiert scheint und sich über die Fälle der Anwälte informiert. Am krassesten fällt das auf, als Chuck den Raum betritt. Wegen eines gewonnenen Falles bekommt dieser von allen Seiten Applaus, Hände werden geschüttelt und besonders Kim scheint ihn fast schon anzuhimmeln. Die Szene, in der Jimmy wie ein Kellner neben den sich unterhaltenden Chuck und Kim verloren herumsteht und sich irgendwann unqualifiziert einmischt, passt natürlich auch perfekt zum Umgang der beiden mit dem Tod des großen Bruders. Kim hat ihr juristisches Vorbild verloren, Jimmy dagegen einen Mann, der ihn zwar aus seinen legalen Problemen in Cicero geholfen hat, der ihn nun aber eine solch unpassende Stelle beschafft hat, in der er möglichst wenig kaputtmachen kann. Dass Jimmy dann am Ende der Sequenz in die Firmenbibliothek von HHM geht und scheinbar den Entschluss fasst, selbst Anwalt werden zu wollen, kann verschieden interpretiert werden. Ganz sicher ein Faktor ist Kim, die er auf ihrem Weg eine Anwältin zu werden nicht verlieren will, weil er auf der Stelle tritt. Andererseits spielt mit Sicherheit auch Chuck eine Rolle, dem er endlich Paroli bieten will. Unter dem Strich sagt mir die Szene aber vor allem eins: Der Beruf des Anwalts war für Jimmy nie etwas, das er gewählt hat, weil er sich und seine Talente da gut aufgehoben fand, sondern vor allem deswegen, weil er Kim gefallen und Chuck etwas beweisen wollte.

Während Chuck Jimmy bekanntermaßen aber nie wirklich als vollwertigen Anwalt akzeptieren wollte, hatte er bei Kim Erfolg. Die schätzt seinen Ehrgeiz, hat nichts gegen die ein oder andere „kreative“ Abwicklung eines Falles, weil sie – wie wir wissen – ja auch zum Teil diese Seite in sich trägt und das spannend findet, und findet ihn zudem als Mensch auch ganz dufte. Das alles hat – und das erfahren wir in „Piñata“ – aber auch gewisse Grenzen. Nachdem sie Jimmys Skizzen eines neuen „Wexler&McGill“-Logos sieht, lässt uns Rhea Seehorn mit einem vielsagenden Blick an Kims Innenleben teilhaben, als würde sie uns fragen: „Will ich das wirklich?“ Wenn man den Rest der Episode betrachtet, dann kennt man auch ihre Antwort: nein. Allerdings teilt Kim das wieder einmal nicht offen mit, sondern bringt einen Plan ins Rollen, der zwar nicht wirklich heimtückisch ist, dennoch aber aus Sicht von Jimmy schon ein Schock ist. Sie entscheidet sich dafür, ihren einzigen Klienten „Mesa Verde“ an die Kanzlei „Schweikart & Cokely“ abzugeben und dort die Abteilung Bankenrecht zu übernehmen. Auf diese Weise teilt sie sich die immense Arbeit, die ihr eh keine Erfüllung bringt, und hat gleichzeitig noch genügend Zeit weiter Fälle als Pfichtverteidigerin anzunehmen, was ihr einfach großen Spaß macht. Das ist alles schön und gut und ergibt aus Kims Sicht absolut Sinn, wenn da nicht der Nebeneffekt wäre, dass sie auf diese Weise kein gemeinsames Büro mehr mit Jimmy eröffnen wird. Ihr Plan gibt ihr da sowas wie einen einfachen Ausweg aus der Situation, was gleichzeitig aber gleichbedeutend ist mit einer professionellen Trennung von Jimmy und Kim.

I like it. I’m good at it. And I’m helping people, Jimmy. I know that sounds cheesy, you know, it’s… Whatever, but it’s the truth.
– Kim

Und machen wir uns nichts vor, Grund dafür hätte Kim genug. Sie wusste schon seit Staffel 2 und der Manipulation der „Mesa-Verde“-Unterlagen, dass Jimmy das Gesetz, das er vertritt, manchmal nicht ganz so ernst nimmt. Jetzt weitet sich der Radius Jimmys krimineller Energie aber scheinbar immer weiter aus und nimmt auch im Privatleben der beiden Überhand. Jimmy lügt, schleicht sich ohne Grund aus dem Haus und Kim weiß das. Schon damals fürchtete sich Kim aber davor, der Wahrheit ins Auge zu sehen und mit Jimmy ehrlich darüber zu reden – genau das passiert aktuell erneut. Das macht es aus Sicht von Kim gar nicht anders möglich, als Jimmy vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihm nichts als Ausreden aufzutischen als die wahren Gründe für ihre Entscheidung. Noch will sie ihn als Menschen, von seinen legalen Zaubertricks hat sie aber genug und will damit nichts mehr zu tun haben.

Der Dialog, in dem Kim ihm das mitteilt, und insbesondere Jimmys Reaktion ist deshalb besonders interessant. Natürlich kann er nichts gegen Kims Argumentation sagen, es ist ja schließlich wirklich so, dass er nur das Beste für Kim will. Und einer nach ihrem Unfall immer noch verwundeten Frau zu sagen, dass sie weiterhin alleine für eine viel zu ambitionierte Bank arbeiten soll, wäre eben ganz sicher nicht das Beste. Als sich Jimmy daraufhin kurz zurückzieht, arrangiert Regisseur Andrew Stanton einen fantastischen Moment, in dem für den Anwalt gefühlt eine Welt zusammenbricht. All das, was er seit der Zeit im Mailroom bei HHM im Bezug auf Kim erreicht hat, scheint ihm von einem Moment auf den anderen wegzufallen. Es könnte der Augenblick sein, in dem er realisiert, dass es das für ihn und seine gesetzestreue, aufrichtige Karriere als Anwalt war. Hat er Kim nicht permanent im Zimmer nebenan wie in der gesamten Zeit seiner Sperre, wird er seinen kriminellen Trieben freien Lauf lassen, das ist ihm in den vergangenen Wochen klar geworden.

I have been thinking about criminal law myself lately. You know, for when I get my license back.
– Jimmy

Dass diese Triebe immer extremer werden, zeigt sich in der Racheaktion, die Jimmy für die drei Jugendlichen vorbereitet hat, die ihm in der vergangenen Woche das Geld aus seinen Handyverkäufen abgenommen haben. Er engagiert bereits zum zweiten Mal Huell und einen weiteren Kraftprotz und lässt diese auf die titelgebenden Piñatas eindreschen, bis die Diebe versprechen, auf der Straße herumzuerzählen, dass man sich mit Jimmy besser nicht anlegen sollte. Das hat mich gewissermaßen an die Folge von Breaking Bad erinnert, als Jesse sich Respekt auf der Straße verschaffen will, indem das Gerücht die Runde macht, er habe Spooge den Kopf mit einem Geldautomaten zerquetscht. Das alles läuft immer mehr darauf hinaus, dass Jimmy dieses Vertrauensverhältnis zu Kriminellen wirklich sucht. Als Saul Goodman gibt er sich ja – außer gegenüber Mike und zum Ende hin auch Walt – nie so, als habe er große Angst vor ihnen. Wahrscheinlich deswegen, weil jeder von ihnen weiß, dass Leute wie Mike oder Huell für ihn arbeiten, die man besser nicht zu sehr verärgert.

Fuck you, Jimmy.
– Howard

Wo wir gerade bei Mike sind: Zusammen mit Gus arbeitet er weiterhin am Personal, das das Superlab bauen soll. Neben einem nerdigen Architekten-Mastermind braucht es dazu selbstverständlich auch noch die geeignete Crew an deutschen Bauarbeitern, die diskret und völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit (und des Sonnenlichts) für die nächsten Monate daran bohren, hämmern und schrauben. Sehr zu unserer aller Freude hat man sich wirklich bemüht, deren Rollen auch wirklich mit deutschen Schauspielern zu besetzen, einzig Stefan Kapicic aus „Deadpool“ hat als Casper einen etwas sehr serbischen Akzent. Auffällig war in seinen wenigen Sekunden Screentime aber nicht er, sondern ein gewisser Kai, der es trotz der Kürze der Zeit schon geschafft hat, sich Mike zum Feind zu machen. Man kann erahnen, dass es bei diesen ersten kleinen Unstimmigkeiten nicht bleiben wird. Es ist schwer vorstellbar, dass Kai nicht noch für große Probleme sorgen wird und vielleicht sogar dafür verantwortlich ist dass sich der Bau des Labor so verzögert. Aktuell befinden wir uns in Better Call Saul im Jahr 2003, Breaking Bad startet erst in 2008. Dort sehen wir, wie Gale noch die Plastikfolien von den frisch eingerichteten Instrumenten abzieht. Was hast du nur verbockt, Kai?

I caught it. It fought me, but I was stronger. The merciful thing would’ve been to kill it. I kept it. It lived for quite some time. I believe you will wake, Hector.
– Gus

Auch wenn mich die Fehde zwischen Gus und Hector etwas ermüdet, sollte Giancarlo Espositos fantastisch vorgetragener Monolog an Tios Krankenbett nicht unerwähnt bleiben. Es gab nämlich ein paar Diskussionen deswegen, inwieweit Gus‘ Geschichte vom Coati zu der Vergangenheit passt, die in Breaking Bad angedeutet wurde. Dort hat Don Eladio Gus nämlich mit der Zeile „You are alive… because I know who you are. But understand. You are not in Chile anymore“ nur ganz zaghaft bedroht, woraus dann die Theorie gesponnen wurde, dass Gus in irgendeiner Form aus der chilenischen Aristokratie oder dem Pinochet-Regime kommen muss und deshalb für das Cartel unantastbar ist. Die Geschichte widerspricht dem ein bisschen, weil sie ja impliziert, dass Gus sehr ärmlich aufgewachsen ist. Wenn ihr mich fragt, ist die Sache mit dem reichen Haushalt ohnehin eher weit hergeholt und ich sehe nicht, dass zum Beispiel eine hohe Position im chilenischen Militär durch die Story verbaut wurde. Ich fand den Monolog vor allem deshalb cool, weil er natürlich perfekt als Parabel dient, warum Gus Hector so lange quält wie das Coati, das ihm die so wertvolle Frucht seines Lúcuma-Baumes weggegessen hat. (By the way: Hat noch jemand an der Stelle so Hunger bekommen auf eine Frucht, die „like caramelllllllll“ schmeckt?)

Wie immer hier noch ein paar Einzelheiten und Theorien:

  • Irgendwie ist es schon ein Zufall, dass sich Kim immer mehr in Richtung Kriminalrecht bewegt, wo Jimmy a) immer mehr mit Kriminellen in Kontakt tritt und b) selbst immer krimineller wird. Eine Theorie dazu, die ich gar nicht mal so unwahrscheinlich finde: Jimmy wird in einem der Fälle, die Kim übernimmt, in irgendeiner Form auftauchen. Weil sie weiß, dass Jimmy sonst seine Anwaltslizenz komplett verliert, hilft sie ihm aus der Situation, ist aber zunehmend von ihm auch persönlich angewidert. Die zweite Theorie wird es mit dem Autorenteam nicht geben, das wäre mehr so Suits-Style: Wenn Kim auch in fernerer Zukunft noch als Pflichverteidigerin unterwegs ist, könnte es nicht sein, dass sie irgendwann einen gewissen Gene Takavic vertritt?
  • Bleiben wir noch kurz bei Jimmy und Kim: Das Restaurant, in dem Kim ihm ihre Entscheidung mitteilt, heißt „Forque Kitchen and Bar“. Als Jimmy sich zurückzieht, ist der „FORQUE“-Schriftzug deutlich sichtbar direkt über ihm. Im Englischen gibt es den Ausdruck „fork in the road“, was soviel heißt wie „Weggabelung“. Wie oben erwähnt, könnte dieser Moment also ein ganz schicksalshafter sein auf Jimmys Weg.
  • Eine kleine Erinnerung: „Schweikart & Cokely“ ist die Kanzlei, die das Altenheim „Sandpiper Crossing“ vertritt. Es könnte also auch sein, dass Jimmy via Kim, die nun dort arbeitet, versucht, den Fall in irgendeiner Weise zu beeinflussen, dass er nun doch schneller als gedacht an sein Geld kommt.
  • Als Jimmy bei „CC Mobile“ den Anruf des Enkels von Ms. Strauss bekommt und so erfährt, dass sie an Altersschwäche verstoben ist, ist das das erste Mal, wo wir Jimmy in dieser Staffel richtig trauern sehen. Es scheint so, als würden ihn die unterdrückten Gefühle von Chucks Tod langsam einholen. Andererseits zeigt es auch, wie die Verbindung zum alten, gutmütigen Rentnerliebling Jimmy langsam abbricht und er (erneut) auf die schiefe Bahn gerät.
  • Ein weiterer Moment, in dem sich Jimmys ungesunder psychischer Zustand zeigt, ist abermals einem Gespräch mit Howard. Ja, es stimmt, Howard nimmt zu einem gewissen Teil Chucks Tod bestimmt als Entschuldigung, warum es für HHM aktuell alles andere als rosig aussieht, dennoch ärgert sich Jimmy in dem Moment – kurz nach dem Gespräch mit Kim – viel mehr über sich selbst als über Howard. „You’re a shitty lawyer, but you’re a great salesman“, es ist, als wären diese Worte direkt an ihn selbst gerichtet. Auf eine Weise sieht er in Howard das, was er nie werden will: Jemand, der sich von Chuck erneut in seinem Leben einschränken lässt – auch wenn dieser schon tot ist.
  • Im Flashback aus dem Jahre 1993 gleich zu Beginn erwähnt Jimmy bei seinem Oscar-Tippspiel den Film Howard’s End. Steuern Howard und HHM also wirklich auf ihr Ende zu?
  • Euch kam der zweite von Jimmys Leibwächtern neben Huell bekannt vor? Gut möglich, wir kennen ihn nämlich schon aus der ersten Staffel von Better Call Saul. Im Skript wurde ihm da der Name Man Mountain gegeben. Er ist einer der zwei Kandidaten, die sich neben Mike für den Posten von Daniel Wormalds Beschützer interessieren.
  • Ich fand es schön, dass wir auch Ms. Nguyen aus dem Nagelstudio wiedergesehen haben. Es wäre einfach, sie zu einer reinen Lachnummer zu machen, aber so ein bisschen was scheint ihr ja doch an Jimmy zu liegen. Die Szene, in der sie das Handy bekommt, war auch eine gelungene Analogie zu dem Intro von „Quite A Ride“, wo Jimmy Francesca einen Bündel Geld in die Hand drückt, damit die die geschredderten Unterlagen in verschiedene Mülleimer wirft.

 

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